19. März 2024

Grassens „letzte Tinte“: Brief an die Kanzlerin, 18

Liebe Frau Merkel,

Sie werden sich in diesen Tagen über Günter Grass geärgert haben. Denn für die Außenpolitik Deutschlands ist es nicht unerheblich, wenn sich einer unserer Nobelpreisträger zum Kronzeugen gegen deutsche Politik machen läßt. Grass hatte geschrieben: „Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird.“ Richtig ist: Niemals hat Israel das Recht auf atomaren Erstschlag reklamiert. Und nicht Israel will das iranische Volk auslöschen, sondern Irans Präsident Israel „von der Landkarte tilgen“. Dafür baut er an einer Atombombe, dafür gefährdet er den Weltfrieden.

Man kann Günter Grass nun töricht, politisch naiv, peinlich, vielleicht auch antisemitisch nennen. Aber: Er muss derlei sagen dürfen. Wir wollen wissen, woran wir mit ihm sind. Und er hat, wie alle anderen Meinungsträger in unserer freiheitlichen Demokratie auch, Anspruch darauf, dass man ihn nicht mit Empörungswellen sozial niederstreckt, sondern argumentativ. Gerade Dummheit muss – vor dem Hintergrund unserer Geschichte –  ernstgenommen werden.

Zu den Forderungen mit Konjunktur gehört gegenwärtig auch, Schriftsteller sollten sich mit politischen Äußerungen zurückhalten. Sie seien politisch nicht in besonderer Weise privilegiert, denn es komme zur Beurteilung von politischen Sachverhalten auf Sachkenntnis an, die man nicht durch Sprachkompetenz ersetzen könne. Das ist richtig (siehe Grass) und falsch zugleich.

Falsch ist es, weil Sprachkompetenz  Zustände plastisch greifbar machen kann. Sie schafft neue Begriffe, sie bildet „Fahnenwörter“, hinter denen man sich versammeln kann. Sprache kann dann eine Waffe sein, wenn man zu anderen Waffen nicht greifen kann oder will.

Auch deshalb wurde die Wende möglich. Sie, Frau Merkel, wissen: In der DDR gaben Schriftsteller wie Günter Kunert oder Wolf Biermann denen eine Sprache, die aus Existenzangst schwiegen. Bert Brecht kämpfte mit seinen Bühnenstücken für soziale Gerechtigkeit und gegen Krieg. In der Bundesrepublik lösten Schriftsteller wie Günter Wallraff, Bernt Engelmann, Gerhard Zwerenz, Peter Handke, Martin Walser oder auch Günter Grass immer wieder heftige Debatten aus, die man als fruchtbar gerade auch dann bezeichnen muss, wenn man entschieden anderer Meinung war.

Nie war Schriftstellerei unpolitisch. Goethe schrieb für bürgerliche Tugenden, für Werte, für eine gute Pädagogik. Er und Schiller waren Protagonisten liberalen Denkens. Charles Dickens sorgte mit dem „Oliver Twist“ für soziale Reformen. Harriet Beecher-Stowe bekämpfte mit „Onkel Toms Hütte“ den Rassismus in Amerika. Niederländische Schriftsteller lenkten die Aufmerksamkeit auf die trüben Folgen des Kolonialismus. Alexander Solschenizyn erzwang  mit dem „Archipel Gulag“ Öffentlichkeit für das menschenverachtende Sowjetsystem. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Gerade wir Europäer haben Schriftstellern und ihren politischen Motiven viel zu danken. Da tun auch Bundesregierung und die Parteien gut daran, Grassens „letzte Tinte“ mit milder Nachsicht hinzunehmen.

(Die „Briefe an die Kanzlerin“ erscheinen in der Christ und Welt-Ausgabe der ZEIT.)

Von der Medienwirkung: Brief an die Kanzlerin, 17

Liebe Frau Merkel,

als hätten Sie mit Europa und der Bundespräsidentenwahl nicht schon Probleme genug gehabt,  drängt sich jetzt auch noch eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen herein. Am 13. Mai soll dort gewählt werden, nach der Wahl im Saarland am 25. März und der in Schleswig Holstein am 6. Mai.   Die Gefahr ist groß, dass die CDU im Saarland und in Schleswig-Holstein die Macht verliert und sie in Nordrhein-Westfalen nicht gewinnt.

Zu Teilen mag das am CDU- Personal liegen, das nicht mediengängig ist. Frau Kramp-Karrenbauer im Saarland hat den Umgang mit den Fernsehkameras noch nicht gelernt und blickt bei Interviews zielsicher darüber hinweg. Jost de Jager in Schleswig Holstein ist diesbezüglich dem bundespolitisch versierten Thorsten Albig von der SPD unterlegen. Und Norbert Röttgen wirkt immer wie ein Einserschüler, dessen sichtbarer Ehrgeiz sich als Sympathiebarriere erweist.

Ohne Fernsehen ist aber kein Wahlerfolg zu machen. Jeder Erwachsene schaut mehr als drei Stunden täglich fern, von dort bezieht er seine politischen Einstellungen. Die aber werden in diesem Medium nicht über die Informationen geformt, sondern über Emotionen. Fernsehen ist ein bildhaftes Medium, Bilder transportieren Gefühle, Talkshowgäste auch. Wer es nicht schafft, dort charismatisch und sympathisch zu wirken, der hat schon verloren.

Auf andere Medien ist ja auch kein Verlass mehr. Man kennt nicht einmal mehr das Gegenüber. Früher bestimmten wenige Zeitungs-Großverlage die Landschaft. Heute beachtet ein Großteil der jüngeren Wähler die Zeitung schon gar nicht mehr, sondern bedient sich im Internet. 250 Millionen Webseiten weltweit sind ein Tummelplatz für Klein- und manchmal auch schon Großverleger, ein riesiger Informations-und Meinungsmarkt. In der Kombination mit den sogenannten Social Media, allen voran Facebook, bieten sich da ganz neue, schlagkräftige und auch finanziell praktisch barrierefreie Möglichkeiten der Kommunikation, deren Akteur, aber auch deren nachhaltiges Opfer man werden kann.

Da muss man sich gut überlegen, was man mit einer Botschaft macht. Ein Fehler nur, und die ganze Kommunikationsanstrengung  ist kontraproduktiv. Für welche Zielgruppe ist meine Botschaft gedacht? Mit welchem Medium erreiche ich sie? Wer ist der ideale Botschafter? Wie muss man die Botschaft formulieren?

Hinzu kommt, dass man von den deutschen Fernsehanstalten journalistische Äquidistanz  nicht mehr erwarten kann. Journalisten begreifen sich vielmehr als Akteure und machen aus ihren politischen Neigungen kein Hehl – ein verhängnisvoller Trend, der selbst schon die Tagesschau erfasst hat und der für die CDU beklagenswert ist, denn die Mehrheit der öffentlich-rechtlichen Programm-Macher sehen lieber rot-grün als schwarz-gelb. Im Takt täglicher Talkshows gerät das zum medialen Trommelfeuer, das Wirkung zeigt.

Da werden Sie Ihr Bodenpersonal nicht alleine lassen. Die nächsten acht Wochen werden Sie wohl mehr als Parteivorsitzende agieren denn als Kanzlerin, auch für Sie selbst geht es um viel. Wenn die CDU bei den Wahlen in diesem und im nächsten Jahr die Macht verliert, ist auch die Ihre dahin.

Auf Ihre Argumente sind wir gespannt.

(Die „Briefe an die Kanzlerin“ erscheinen in der Christ und Welt-Ausgabe der ZEIT.)

 

Der Hoffnungsträger der FDP

Nun haben sie ihn zum Hoffnungsträger gewählt, der die FDP aus ihrer Misere herausführen soll: Christian Lindner ist ab sofort nicht nur Spitzenkandidat der FDP für Nordrhein-Westfalen, sondern auch der Hoffnungsträger der ganzen Partei. Gelingt ihm der Einzug in den Düsseldorfer Landtag, hat  Philip Rösler die Stunde als Parteichef der Bundes-FDP geschlagen.

Der tiefe Sturz der FDP von 14,6 Prozent der Zweitstimmen im Jahre 2009 auf nunmehr zwei oder drei Prozent in den Umfragen ist einer eklatanten Vernachlässigung der Wählerschaft geschuldet.  Sie waren 2009 massenhaft von der Union zur FDP übergelaufen, weil sie in der Union einen Linksruck wahrnahmen, der ihnen missfiel. Das Angebot der FDP schien vielen attraktiv: ein Stufentarif in der Einkommensteuer, die Einführung eines Bürgergelds statt Hunderter verschiedener Sozialleistungen, der Druck auf Arbeitslose zur Annahme zumutbarer Arbeit, die Ablehnung von Mindestlöhnen, die Privatisierung von Gesundheits- und Pflegeleistungen, die Förderung der betrieblichen und kapitalgedeckten Rente, eine standortfördernde Energiepolitik. Nichts davon ist falsch geworden dadurch, dass man es unterließ oder in der schwarz-gelben Koalition das Gegenteil beschloss.

Für Christian Lindner müsste es also ein Leichtes sein, die Fünf-Prozent-Hürde in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Der Felder der Profilierung sind viele, und eigentlich ist Norbert Röttgen auch der ideale Gegenkandidat.

Denn da ist zunächst die „Energiewende“. Zwar hat die FDP sie mit beschlossen, dass sie aber so dilettantisch vorbereitet und durchgeführt werden würde, hat Norbert Röttgen zu verantworten. Diese Energiewende verknappt Energie künstlich, treibt die Preise nach oben und gefährdet den Standort für energieintensive Produktionen. Erstmals ist die Energieversorgung in Deutschland instabil geworden, auch, weil die Verteiltrassen nicht gesichert sind. Zunehmend macht die „Wende“  den Import von Energie notwendig, die anderswo nicht klimaneutraler oder umweltfreundlicher erzeugt wird. Nach wie vor setzt das Erneuerbare Energien-Gesetz falsche Allokationsanreize und verschwendet Bürgervermögen: 2011 wurden für EEG-Strom 16,7 Milliarden Euro gezahlt, obwohl er nur 4,7 Milliarden wert war. Röttgens Politik produziert Technikfeindlichkeit gegenüber der notwendigen großtechnischen Energieerzeugung. Sie erzwingt den Einsatz von schadstoffintensiveren Primärenergiearten wie Kohle, die dann aber auch noch verstärkt aus dem Ausland, beispielsweise aus der Mongolei, eingeführt werden soll – obwohl sie im Ruhrgebiet vorhanden ist. Oder sie verlockt die Landwirtschaft zum Anbau von Pflanzen zur Energieerzeugung, womit riesige Flächen dem Nahrungsmittelanbau verloren gehen.

Oder die Bildungspolitik: Warum goutiert es die FDP, dass ihre politischen Gegner Lehrpläne und Schulstrukturen als letztes verbliebenes ideologisches Spielfeld betrachten und nicht als Voraussetzung für intensive und leistungsbetonte Wissensvermittlung mit internationalem Benchmark-Charakter? Warum trägt die Schul-Wirklichkeit mit ihrer Technik-Aversion so wenig dazu bei, Deutschland als Land technologischer Spitzenleistungen zu begreifen? Wieso werden Bildungsinvestitionen als haushaltspolitisches Problem, nicht aber als Zukunftssicherung betrachtet? Wieso geht Deutschland so zögerlich mit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse um?

Oder die Familienpolitik: Wieso streitet die FDP zwar heftig für das Ehegattensplitting gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, nicht aber für das Betreuungsgeld von Müttern, die sich um den Lebenskeim einer Gesellschaft besonders bemühen: nämlich die Familie? Wieso macht sie gemeinsame Sache mit jenen auch in der CDU, die das Abschieben von Kindern in Krippen finanziell belohnen, die eigene Erziehungsleistung aber finanziell diskriminieren? Warum engagiert sie sich zwar heftig bei den Gender-Debatten und verschwendet Kraft und Energie bei den Versuchen, ein „drittes Geschlecht“ zu öffentlicher Anerkennung zu bringen, statt Familien mit Kindern und deren Zusammenhalt bevorzugt  zu fördern?

Auch die Steuerpolitik muss aufgegriffen werden: Zwar ist die Neuverschuldung gerade niedrig, aber die Schuldenstände sind enorm. Ihr Abbau muss beginnen, er sichert künftige finanzpolitische Solidität.  Und es steht nicht etwa – wie Peer Steinbrück das für den SPD-Wahlkampf ankündigt – eine Steuererhöhungs-Debatte an, vielmehr eine Reduzierung der Staatsausgaben und eine Förderung aller Mechanismen, die die Flexibilität Wirtschaft fördert, den Standort Deutschland interessant und damit die Chance auf viele Arbeitsplätze hoch erhält.

Kurz: Die FDP hat viele Chancen der Profilierung. Sie muss sie nur nutzen und ihre bisherige Konzessionspolitik beenden. Das führt zum Kern: Sie muss sich gegen den Unions-Partner inhaltlich viel schärfer profilieren, der Koalitionskrach muss zur Tagesordnung werden, bis hin zum Koalitionsbruch. Das Ziel ist, die Liberalen im Parlament zu halten. Denn Deutschland braucht eine starke liberale Stimme, der deutsche Parlamentarismus auch. Und auch die Union muss an der Existenz einer Parlaments-FDP interessiert sein, sichert sie der Union doch eine wichtige strukturelle Option des Machterhalts. Christian Lindner kann das mit ordnungspolitischer Klarheit schaffen.

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